Ist das noch Wählerwille?

Montagabend kam ich ins Rechnen, als wir Ratsmitglieder die Nachricht bekamen, dass mit Wilko Maack ein weiteres Mitglied der SPD-Fraktion sein Ratsmandat niederlegt. Der folgende Artikel handelt von meinen Berechnungen und Überlegungen aufgrund von Fakten und dem natürlich teils subjektiven Wissen aus dem Wahlkampf und Beobachtungen aus einem Jahr in der Politik.

Der Stand der Dinge

Nachdem die zwei gewählten Frauen in der SPD-Fraktion ihr Mandat niedergelegt (Heike Piepke) bzw. nicht angetreten (Ute Schaller) haben, legt nun das zweitjüngste Fraktionsmitglied der SPD das Mandat im Gemeinderat Adendorf innerhalb eines Jahres nieder. Im Sinne der Parität und Diversität, aber auch gemeinsamer Interessen in der politischen Arbeit bedauern wir dies sehr. Darüber hinaus wurde der dritte stellvertretende Bürgermeister Sascha Schellin (SPD) aus dem Verwaltungsauschuss abberufen und wird daher sein Bürgermeisteramt niederlegen müssen.

Fakten & Überlegungen

Die Kommunalwahl ist eine Personen- und Listenwahl. Dies bedeutet, dass die Wähler:innen ihre:n Wunschkandidat:in als direkte:n politischen Vertreter:in oder eine Partei bzw. Wählergruppe wählen können. Wie ihr meinen Quellen entnehmen könnt, hat die SPD insgesamt 6679 Stimmen (40,79%) bei der Kommunalwahl von den Wähler:innen bekommen. 4850 dieser 6679 Stimmen gab es direkt für Kandidat:innen. Das heißt, dass die SPD-Wähler:innen ihre Vertreter:innen mit 73% ihrer Stimmen direkt gewählt haben. In Adendorf und Erbstorf wurden vor einem Jahr 16.373 Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 61,36% abgegeben.

73% der Stimmen für die SPD Adendorf entfielen auf Direktmandate. Die Wähler:innen haben vorrangig direkte Vertreter:innen gewählt.

Das Ergebnis für die stärksten Kandidat:innen:

  • Rainer Dittmers: 1200 Stimmen
  • Sascha Schellin: 800 Stimmen
  • Wilko Maack: 671 Stimmen
  • Ute Schaller: 383 Stimmen

Die weiteren Direkt-Kanditat:innen folgen mit 212, 167, 166 und 164 Stimmen.

Quellen:
Alle Informationen bezüglich der Kommunalwahl 2021, der Stimmen und der Sitzverteilung findet ihr hier.
Informationen zur Sitzverteilung in den einzelnen Ausschüssen des Adendorfer Gemeinderates findet ihr hier, leider nicht ganz aktuell.

Nach der Wahl kommt es Aber Anders

  • Ute Schaller bekam mit 383 Stimmen ein Direktmandat, verzichtete aber sofort auf ihr Ratsmandat und war folglich nach der Kommunalwahl 2021 nie im Gemeinderat. Ihre Stimmen wurden auf den nächsten potenziellen Direktkandidaten (der es nicht in den Rat geschafft hat) übertragen. Somit rückte Rainer Zeiser nach (101 Stimmen).

SPD-Männer sind wieder unter sich

LZ am 11.03.2022
  • Bereits 6 Monate nach der Wahl gibt Heike Piepke ihr Ratsmandat aus persönlichen Gründen zurück. Die bis dahin einzig verbleibende Frau der SPD im Gemeinderat kam mit 108 Stimmen über Listenplatz 4 in den Gemeinderat. Dazu schrieb die LZ am 11.03.2022 bezeichnenderweise „SPD-Männer sind wieder unter sich„. Heike Piepkes Platz fiel an den nächsten Listenplatz, Rolf-Werner Wagner (82 Stimmen).

Was ist los bei der SPD? Der zweitstärkste Kanditat mit 800 Stimmen verlässt den Verwaltungssauschuss.

Ratssitzung am 01.09.2022, Tagesordnungspunkt Ö 4.2
  • In der letzten öffentlichen Ratssitzung am 01.09.2022 fand nun unter Tagesordnungspunkt Ö 4.2 überraschend eine unerwartete Umbesetzung des Verwaltungsausschusses statt: Rolf-Werner Wagner (der Nachrücker von Heike Piepke) sitzt nun statt Sascha Schellin im Verwaltungsausschuss durch den Antrag von Jürgen Schreiber (Fraktionsvorsitzender der SPD).

Umbesetzung Des Verwaltungsausschuss

Der Verwaltungsausschuss (VA) bzw. Hauptausschuss ist der wichtigste Ausschuss. Hier werden Anträge an den Rat vorbereitet, beraten und beschlossen. Im Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetz (NKomVG) könnt ihr darüber hier lesen. Rede- und Stimmrecht haben nur bestimmte Beigeordnete der Fraktionen. Diese nicht-öffentlichen Sitzungen finden alle vierzehn Tage statt. Typischerweise sitzen die Fraktionsvorsitzenden in diesem Ausschuss, außerdem neben dem Bürgermeister selbst, die stellvertretenden Bürgermeister. In der Regel wird sich hier vorab abgestimmt und danach diese Themen durch die Fraktionsvorsitzenden in die Fraktionssitzungen eingebracht. Die Beratungsergebnisse werden wiederum in der nächsten Sitzung des VAs zusammengeführt und ggfs. Beschlüsse gefasst.

Rolf-Werner Wagner sitzt heute bereits statt Sascha Schellin in diesem wichtigen Ausschuss. Diese Änderung hat Folgen.

Ein mit 800 Wählerstimmen direkt gewählter Ratsherr tauscht mit einem Kollegen, der selbst nur auf ein Zehntel dieser Stimmen kommt. Dadurch verliert er deutlich an Einfluss und die Möglichkeit seine direkten Wähler:innen zu vertreten. Sascha Schellin, der als bekanntes TSV-Gesicht vielleicht auch die ein oder andere Stimme von euch bekommen hat, ist (wie ich letztes Jahr in Wahlkampf-Gesprächen erfuhr) genau wie Wilko Maack angetreten, um den Familien, Jüngeren, Vereinsmitgliedern und Anderen eine Stimme im Rat zu geben.

Durch den Sitz im Verwaltungsausschuss konnte Sascha Schellin zum 3. stellvertretenden Bürgermeister gewählt werden. Nach der Neubesetzung des VAs muss er dieses Amt aber ebenfalls niederlegen, denn die Hauptsatzung der Gemeinde Adendorf setzt Beiordnung zum VA voraus (§4 Hauptsatzung). Die Neubesetzung mit Rolf-Werner Wagner im Verwaltungsausschuss wird also demnächst dazu führen, dass die SPD vermutlich selbigen zur Wahl aufstellen lassen wird, denn die möglichen SPD-Kandidaten sind: Rolf-Werner Wagner, Jürgen Schreiber und Ronald Steinberg.

Sascha Schellin ist natürlich weiterhin Ratsmitglied – aber welche Funktion und Auswirkung haben seine 800 Stimmen noch? Uns ist völlig unklar, weshalb Sascha Schellin darauf verzichtet direkten Einfluss für seine 800 Wählerstimmen im wichtigsten Ausschuss ausüben zu können!? Er ist nun darauf angewiesen, dass Andere innerhalb der SPD-Fraktion seine Themen voranbringen.

Der Nächste geht

Gestern dann mit Wilko Maack der nächste junge Ratsherr der sein Ratsmandat beendet. Wilko Maack, der als neuer und zweitjüngster Kandidat der SPD aus dem Stand und ohne große Wahlwerbung sagenhafte 671 Stimmen (Direktmandat) holte. Für ihn rückt nun Sebastian Dittmers nach, der zwar Letzter auf der Liste der SPD war, aber mit 95 Stimmen einfach der Nächste ist. Auch hier stehen die Stimmen von Sebastian Dittmers von 95 : 671 in keinem Verhältnis zu denen von Wilko Maack.

Nachgerechnet: Wie unbemerkt 2000 Wählerstimmen In der Liste verschwinden!

Die Ratsmitglieder Sascha Schellin (800 Stimmen), Wilko Maack (671 Stimmen), Ute Schaller (383 Stimmen) und Heike Piepke (108 Stimmen) haben 40% der Personen-Stimmen geholt. Wurden also gewählt, weil man von ihnen als Menschen oder von ihren Vorhaben in der Politik überzeugt war. Da diese Mandatsträger:innen ihr Mandat niedergelegt bzw. an Einfluss verloren haben, wurden diese insgesamt 1962 Stimmen nun im Prinzip gegen 278 Stimmen für Rainer Zeiser (101 Stimmen), Rolf-Werner Wagner (82 Stimmen) und Sebastian Dittmers (95 Stimmen) ausgetauscht. Deren personenbezogene Wählerstimmen machen dabei gerade einmal etwa 6% aus.

Somit verschwinden 34% (!!!) des Wählerwillens in Form der direkt gewählten Vertreter:innen in der SPD-Liste. Das finde ich unfassbar, denn schaut euch mal die Sitzverteilung in den jeweiligen Ausschüssen an:

  • Verwaltungsausschuss: 4/9 SPD, stimmt der Bürgermeister mit der SPD 5/9 (Sitzverteilung: 4 SPD, 2 CDU, 1 Grüne, 1 ABAE, 1 Bürgermeister).
  • Jugend, Senioren, Soziales: 4/9 SPD
  • Straßen, Verkehr und Grünflächen: 4/9 SPD
  • Schulausschuss: 4/9 SPD
  • Umwelt, Ortsentwicklung und Bauen: 4/9 SPD
  • Kultur, Sport, Freizeit und Tourismus: 4/9 SPD

Die Ausschüsse wären sicherlich in anderen Mehrheiten besetzt, wenn die SPD etwa 1200 Stimmen weniger bekommen hätte. Um das klarzustellen: Das ganze Vorgehen ist rechtlich einwandfrei, dennoch kann ich gar nicht richtig beschreiben wie mich dieser Ablauf in den letzten Monaten zurücklässt. Irgendwie fassungslos…Was passiert hier? Was ist los bei der SPD Adendorf? Während zur Landtagswahl die SPD von Verantwortung in schwierigen Zeiten spricht, würde ich mich hier in Adendorf irgendwie getäuscht fühlen wenn ich SPD-Wählerin wäre…bin ich kommunalpolitisch ja aber nicht, da ich bekanntermaßen einen anderen Weg der politischen Mitbestimmung gewählt habe. 😉

Update/Korrektur 22.09.2022: Ursprünglich habe ich Wilko Maack als den jüngsten Kandidaten bezeichnet. Das ist nicht korrekt, denn Philip Zlotos ist das jüngste Mitglied der SPD-Fraktion.

1 Kommentar zu „Ist das noch Wählerwille?“

  1. Vielen Dank für den Bericht und die Aufbereitung der Zahlen.

    Für mich passt das sehr gut ins Bild und diese Umbesetzungen entsprechen leider dem, was ich bereits vor einem Jahr bei der Kommunalwahl befürchtet hatte.

    Ich spinn jetzt einfach mal ein bisschen rum:

    Neue Gesicher (mit teils bekannten Namen) kandidieren für den Rat, um einen „Generationenwechsel“ vorzutäuschen und so Stimmen „zu fangen“. Im Falle ihrer Wahl werden sie dann nach angemessener Zeit
    „ausgetauscht“ bzw. legen ihr Mandat nieder und die bekannten Veteranen rücken nach. Und schon ist die alte Clique wird am Ruder…

    Die SPD ist seit Jahrzehnten die treibende politische Kraft in Adendorf. Alle anderen Parteien sind (aus meiner Sicht jedenfalls) unauffällig bis nicht sichtbar. Die GRÜNEN sind bundesweit im Aufwind (wovon auch die Adendorfer GRÜNEN profitieren) und mit den Unabhängigen/ABAE tritt ein neuer Player auf, der die Position der SPD angreift. Bei der Wahl 2021 verlieren SPD und CDU infolge jeweils einen Sitz an UA/ABAE und B90/Die GRÜNEN.

    Tja, denen geht jetzt die Muffe vor einem Einflussverlust. Da wird jetzt jede Möglichkeit genutzt, die eigene Position zu stärken.

    Ich bin böse. Ich weiß.

    Seit jetzt über drei Jahren beobachte ich das politische Geschehen in Adendorf. Für eineinhalb Jahre auch von innerhalb der ABAE (1.0) und bin immer wieder aufs neue erschüttert, was in Adendorf teilweise abgeht.

    Es wird wirklich höchste Zeit, dass sich die Mehrheiten hier ändern.

    So, ich könnte jetzt noch Stunden so weitermachen, aber: für Heute reicht es mir. Ein anderes Mal mehr.

    Gute Nacht.

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